das zweite jahrhundert

Nachdem nach dem ersten Jahrhundert der Firmenhistorie kein Mitglied der Gründungsfamilie mehr in der Geschäftsführung des Unternehmens vertreten war, stand im Jahr 1992 der Verkauf der kompletten Firma Carl Walther an das österreichische Unternehmen Steyr-Mannlicher kurz vor dem Abschluss.
Im Frühjahr 1993 gelang jedoch zwei in der Waffenbranche weltweit bekannten und geschätzten Partnern und Unternehmerpersönlichkeiten ein wahrer Coup:
Wulf-Heinz Pflaumer und Franz Wonisch, die beiden geschäftsführenden Gesellschafter der Arnsberger Umarex-Firmengruppe, übernahmen die Traditionsfirma Carl Walther und konnten sie so in Deutschland halten.

Bis zum Jahr 1993 hatte sich das Arnsberger Unternehmen eine solide wirtschaftliche Basis erarbeitet und war Weltmarktführer bei Gas- und Signalwaffen. Die Firmenchefs Wulf-Heinz Pflaumer und Franz Wonisch sorgten auch beim „Amtsantritt“ in Ulm für Aufatmen bei den Mitarbeitern: Die Zusage, den gesamten Umarex-Gewinn des Vorjahres direkt wieder bei Walther zu investieren, versprach eine solide Zukunft.

Mit dem Kauf von 90 Prozent der Anteile an der Firma Walther (der Rest verblieb bei den Familienmitgliedern Ira und Jürgen Walther) schloss sich für den Büchsenmacher-Meister und Messerschmied Wulf-Heinz Pflaumer und den Elektromechaniker Franz Wonisch auch ein weiter Kreis: die Baupläne des damaligen Walther-Technikers Walter Riem, der noch unter Fritz Walther in Zella-Mehlis die Schreckschusspistole Perfecta konstruiert hatte, bildeten den Grundstein von Umarex. Walter Riem und die Brüder Karl und Paul Mayer waren Geschäftspartner, als Wulf-Heinz Pflaumer 1972 in die Mayer & Riem KG eintrat, zunächst als Prokurist und Geschäftsführer. Aus dem seit 1952 in Arnsberg-Neheim wieder gefertigten Perfecta-Pistölchen entwickelte sich ab 1972 der spätere Weltmarktführer von Schreckschusswaffen. Mit dem Zukauf der Firma Reck Sportwaffenfabrik Karl Arndt im Jahr 1979 ergab sich die Konstellation, die über die Zwischenstufe Uma-Reck zum international verständlicheren UMAREX führte. Wulf-Heinz Pflaumer war seit 1973 Geschäftsführender Gesellschafter und zuständig für Marketing und Vertrieb. Im Jahr 1979 folgte Franz Wonisch ebenfalls als Geschäftsführender Gesellschafter und übernahm die Verantwortung für die Bereiche Technik und Finanzen.

Viele Lizenzen mit den Herstellern bekannter Feuerwaffen, die nach und nach vertraglich gesichert wurden, erlaubten es, „freie“ Waffen im Kleid der bekanntesten Modelle herzustellen. Und mit dem Erwerb von Walther war es endlich möglich, auch den Verkaufsschlager Walther PPK mit dem originalen Schriftzug und der nun eigenen Marke zu produzieren.

 

Wulf-Heinz Pflaumer & Franz Wonisch
Eyck & Wulf-Heinz Pflaumer

Nach dem Einstieg bei Walther gingen die neuen Gesellschafter konsequent vor. Das neue Wettkampfluftgewehr LGM-2 erlebte seine Feuertaufe während den Deutschen Meisterschaften 1994 auf der Olympia-Schießanlage in München. Dort wurde der WALTHER-CUP ausgetragen, in dem 20 Luftgewehr-Teams aus ganz Deutschland um wertvolle Preise kämpften – alle mit zur Verfügung gestellten LGM2-Luftgewehren. Die Finalisten hatten sich aus über 1000 gemeldeten Mannschaften qualifiziert, und nach dem Mannschaftssieg vom „Bund München“ wurde um einen ganz besonderen ersten Preis gerungen: Schließlich konnte der damalige Nationalteam-Schütze Hannes Hirschvogel freudestrahlend seinen einmalig ausgestatteten Mercedes C180 Sport „Walther Cup“ in Empfang nehmen.

Franz & Martin Wonisch

Walther war, nach vielen traurigen Geschäftsjahren, wieder zurück – und das auch im ureigensten Metier, dem Pistolenbau. Zur IWA 1996 überraschte man die Fachwelt durch eine völlig neuartige Großkaliberpistole mit Polymer-Griffstück statt einem traditionellen aus Stahl oder Leichtmetall. Pflaumer und Wonisch war gelungen Horst Wesp, den bisherigen Technischen Geschäftsführer von Steyr-Mannlicher, als neuen Chefkonstrukteur zu gewinnen. Die von ihm und seinem Team entwickelte Walther P99 war revolutionär, vom hahnlosen Schlagbolzensystem mit Entspanndrücker vor der Kimme bis zu variabel verwendbaren Abzugssystemen. Ob Spannabzug, teilvorgespannt oder Double Action Only, künftige Kunden nutzten vor allem dieses Feature für individuell ausgestattete Großbestellungen. Innovativ auch die Ergonomie: nur 26 mm breit trotz doppelreihigem 16-Schuss-Magazin, je nach Handgröße austauschbare Griffrücken oder die praktische Magazinwippe – ein doppelseitiger, in den Abzugsbügel integrierter Magazinauslöser.

Mit großem Engagement erreichte WALTHER auch wieder die Spitze des internationalen Schießsports. Das lag nicht zuletzt an Waffen wie der modernen LG300-Familie, an dem energiestarken LG300 Dominator für das populärer werdende Field Target-Schießen oder dem Kleinkalibergewehr KK300. Bei den Kurzwaffen war es die LP300 und das KK-Modell SSP, sowie die bereits legendäre GSP, die in ihrer aktualisierten Form als GSP Expert die Sportler begeisterte.

 

Die legendäre Walther PPK, darunter die futuristische Walther P99
Das neue Firmengebäude in Ulm seit 2005

Mit der Wiederaufnahme zeitweilig unterbrochener Produktbereiche und dem geschäftlichen Erfolg zeigte sich bald, dass der bisherige Standort an der Ulmer Karlstraße keine Expansion mehr erlaubte. In Zusammenarbeit mit der Stadt Ulm, dem Oberbürgermeister Ivo Gönner und Projektentwicklungsgesellschaft Ulm wurde eine Lösung entwickelt und ein Grundstück im Industriegebiet „Lehrer Feld“ vor den Toren der Stadt gefunden, das auch die wichtige Autobahn-Anbindung bietet. 2004 begann der Neubau eines 12.000 Quadratmeter großen und modernen Gebäudes, das schon ein Jahr später bezogen und 2006 zum 120-jährigen Bestehen der Firma eingeweiht werden konnte. Hier bot sich die Chance, den notwendigen Maschinenpark komplett neu zu planen und zudem Räume für Besprechungen, Produktpräsentationen und Schulungen zu schaffen.

Im Jahr 2006 ergab sich eine erneute geschäftliche Chance: Walther konnte die Marken- und Nutzungsrechte der ehemals Schweizer Sportwaffenfirma Hämmerli erwerben. Das schon vor über 150 Jahren im Jahr 1863 gegründete Unternehmen, seit 1947 Aktiengesellschaft, hatte zuvor mehrfach den Besitzer gewechselt, nachdem sich die Schweizerische Industrie-Gesellschaft (SIG) Ende der 1990er Jahre von allen Beteiligungen an Waffenfirmen getrennt hatte. Walther und Hämmerli verbindet eine jahrzehntelange Geschichte, seitdem die Schweizer nach dem Krieg die Walther-Sportpistole Olympia in Lizenz bauten, weil in Ulm nach Besatzungsrecht noch keine Feuerwaffen hergestellt werden durften. Mit der Integration von Hämmerli und der Verlagerung des Lagers und einiger Maschinen nach Ulm konnte die Produktpalette der weltweit bekannten Marke teilweise erhalten und sogar durch neue Modelle ausgebaut werden. Heute richten sich Luftgewehre wie das Hämmerli AR20 oder die Luftpistole AP20 an den engagierten Einsteiger und an Vereine, die ihren Bestand durch hochwertige, aber preisgünstige Sportwaffen ergänzen möchten. Die X-Esse, deren Griffstück seit diesem Jahr „aus dem Vollen“ gefräst wird und damit eine enorme qualitative Aufwertung erfahren hat, lässt sich vom Design und der Funktion übrigens durchaus als Ur-Enkel der berühmte Walther Olympia-Pistole von 1932 bezeichnen – ein wirklich renommierter Stammbaum.

Walther - Eine deutsche Erfolgsgeschichte
Sechs Kilo wiegen die beiden Prachtbände zum 125-jährigen Bestehen des Unternehmens im Jahr 2012. Auf 1.073 Seiten schildern die Autoren Manfred Kersten, Dr. David Th. Schiller und Ulrich Eichstädt die Geschichte von Carl Walther und seiner weltberühmten Firma, aber ohne eine trockene Aneinanderreihung von Fakten. Die übersichtliche, an Waffen orientierte Struktur macht die beiden Bände zu einem Nachschlagewerk, in dem der Leser sich schnell über einzelne Modelle informieren kann — zumal jeder Abschnitt Tabellen mit technischen Daten enthält. Die reich illustrierten Bände enthalten viele bis jetzt unveröffentlichte Bilder, teilweise aus Familienbesitz.